Ausstellung: Aktuelles zur Judengasse

seit dem 13. April 2023 im Museum Judengasse

16 Juli 2024

Besucher*innen der Ausstellung im Museum Judengasse stehen im südlichen Teil der ehemaligen Judengasse, die vom Ausgang des Spätmittelalters bis ins 19. Jahrhundert bestand. Ihre Überreste sind in der Dauerausstellung des Museums an Ort und Stelle zu besichtigen.

1987 kam bei archäologischen Ausgrabungen am Börneplatz eine sehr große Menge an Fundmaterial zutage. Es entstammt ganz unterschiedlichen Befundsituationen. In erster Linie handelt es sich um die Kellerverfüllungen der Häuser aus dem südlichen Teil der Judengasse. Hinzu kommen Funde aus Gruben, Brunnen, Kanälen und Wasserleitungen.

Obwohl alle diese Funde auf dem Areal der Judengasse ausgegraben wurden, kennen wir die Geschichten ihrer Besitzerinnen und Besitzer nicht. Sie können von den Bewohnerinnen und Bewohnern der Judengasse stammen oder durch Dritte von außerhalb eingebracht worden sein.

In den frühen 1990er-Jahren erfolgte ein erster Anlauf, diese Grabung und ihre Funde aufzuarbeiten, der aber abgebrochen wurde. Nun, drei Jahrzehnte später, werden diese Arbeiten im Rahmen des Projekts METAhub fortgesetzt und die Ergebnisse in eienr Ausstellung präsentiert. Zu sehen sind in einer Auswahl die Überreste des täglichen Lebens – und Überlebens.

Warum Archäologie?

Beim Stichwort Archäologie denken viele an Pyramiden, Pharaonen, Schatzgräberei, Gold und Edelsteine. Doch geht es in erster Linie um die Erforschung und das Verständnis unserer Vergangenheit, um das alltägliche Leben unserer Vorfahren. Dabei werden wie bei einem Puzzlespiel Erkenntnisse aus vielen Fachbereichen zu einem möglichst vollständigen Bild zusammengefügt.

Dennoch soll nicht verschwiegen werden, dass sich auch unter den Funden aus der Judengasse kleine Schätze befinden: Hier ein kleiner, tropfenförmig geschliffener Amethyst, gefunden in der Grube Pfau.

Die Grube Pfau

Eine besondere Bedeutung in der archäologischen Aufarbeitung kommt der sogenannten Grube Pfau zu. Ihre Benennung erhielt sie während der archäologischen Bearbeitung, weil sie unter dem „Haus Pfau“, auch „Goldener Pfau“, zutage kam. Die Häuser der Judengasse hatten keine Nummern, sondern wurden mit Namen bezeichnet.

Die Grube Pfau ist für die Forschung bedeutsam, weil sie bei Weitem das meiste Fundmaterial enthielt. Bevor die holzverschalte Grube (1,7 x 4,0 m) mit allerlei Müll verfüllt wurde, war sie offensichtlich in die Wasserversorgung dieses Areals eingebunden.

Die "unsichtbare" Arbeit der Archäologie

Arbeitsablauf bei der archäologischen Fundaufnahme

Die umfangreiche Inventarisierungs- und Archivarbeit von Archäologinnen und Archäologen findet in der Regel im „stillen Kämmerlein“ statt und steht selten im Fokus der Öffentlichkeit. Das Projekt Unboxing Past ermöglicht erstmals umfassende Einblicke in diesen Arbeitsbereich der Archäologie.

Das Projekt METAhub ermöglicht nun allen Interessierten den Zugang zu diesen aus den Funden gewonnenen Informationen und Erkenntnissen und macht den zugehörigen aufwendigen Arbeitsprozess für die Öffentlichkeit sichtbar.

(1) Der Archäologe Dr. Sonnemann entpackt eine Fundkiste. Nach der ersten Sichtung des Materials werden die Funde systematisch erfasst. Dazu werden sie zunächst vermessen.
(2) Im nächsten Schritt werden die Funde mit Maßstab fotografiert.
(3) Die Kerntätigkeit besteht aus der möglichst präzisen Beschreibung der Stücke: Materialbeschaffenheit, formenkundliche Bestimmung und andere Merkmale, wie z. B. Maße, werden in eine Datenbank eingegeben, um sie später wissenschaftlich auswerten und mit Objekten anderer Fundstellen vergleichen zu können. Über diese Datenbank gelangen die Metadaten und Fotografien auch auf metahubfrankfurt.de/explore.

Keramik

Keramik stellt im Regelfall mit Abstand den größten Fundanteil in archäologisch ausgegrabenen Siedlungsüberresten dar.

„VORHER“ So würden wir uns unsere Funde wünschen. Hier zu sehen ist ein innen glasierter Topf aus Irdenware, gefunden in der sogenannten Grube 11.

„NACHHER“ (Als Beispiel: Zwei Kisten Wandscherben, Unterbefundnummer 135 aus der Grube Pfau – oder in lang: Inv.-Nr. 1987,35.001.000.0135): Dies ist der archäologische Normalfall.

Insgesamt 1.898 Wandscherben von scheibengedrehter, innen glasierter Irdenware stammen allein aus der Grube Pfau.

(4) Foto: Uwe Dettmar

Tierknochen - was sie uns sagen können

Tierknochen spielen bei Siedlungsgrabungen nach der Keramik meist die zweitwichtigste Rolle im Fundmaterial. Sie geben Auskunft darüber, wie sich die jeweils zur Siedlung gehörige (Nutz-)Tierpopulation zusammensetzte und wie deren Haltung und „Verwendungszweck“ aussah.

Unter diesen Funden aus dem südlichen Teil der Judengasse stechen die umfangreichen Mengen von Rinderknochenfragmenten – ebenfalls aus der Grube Pfau – hervor. Durch sie lässt sich der gesamte Produktionsablauf einer Würfelmanufaktur rekonstruieren.

Wo diese allerdings gestanden hat und von wem sie geführt wurde, ist unbekannt.

(5) Foto: Uwe Dettmar
(6) Zunächst werden die Gelenkenden der Langknochen (in diesem Fall die Mittelfußknochen) von Rindern entfernt.
(7) Der verbleibende Mittelteil der Knochen wird in Spalten aufgeteilt.
(8) Die Spalten zersägt man sodann in würfelförmige Stücke.
(9) Im letzten Schritt bohrt man die üblichen Zahlmarkierungen in die Rohlinge.

Glas - von Römern und Nuppen

Gläser bzw. deren Fragmente treten unter den Funden des ausgegrabenen Bereichs der Judengasse in geringerem Umfang als Keramik und Tierknochen auf.

Ein besonderes, ab dem 16. Jahrhundert gebräuchliches und bis heute beliebtes Trinkgefäß ist der sogenannte Römer: ein Kelch mit aufgelegten Glasklecksen („Nuppen“) am Stiel. Diese Nuppen treten in verschiedenen Größen und Formen auf. Am imposantesten sind dabei die Beerennuppen – der Name spricht für sich.

(10) Foto: Uwe Dettmar

Wasserversorgung und Wasserentsorgung

Die Versorgung mit Trinkwasser und ebenso die Abwasserentsorgung waren und sind für alle Ansiedlungen zu allen Zeiten überlebenswichtig. Schon vor der Einrichtung des Ghettos Judengasse gab es im Mittelalter in diesem Areal ein komplexes und variantenreiches Kanalsystem.

(11) Foto: Uwe Dettmar
(12) Eine Variante der Wasserversorgung waren hölzerne Leitungen, in unserem Fall ausgehöhlte Eichenstämme mit aufliegendem Balken. Hier ist zusätzlich eine Eckverbindung zu erkennen. Zutage kam dieser Befund in einer Grube unter dem Haus Pfau. Der Bau der Wasserleitung kann mittels Dendrochronologie (Altersbestimmung des Holzes anhand der Jahrringe) präzise auf das Jahr 1382 datiert werden.
(13) Zusammensteckbare Segmente einer Wasserleitung aus Keramik, gefunden unter den Häusern der Ostzeile der Judengasse.

Die Überreste einer Gipsfigurengießerei

In der Kellerverfüllung des Hauses Warmes Bad kamen die Abfallprodukte einer Gipsfigurengießerei in Form von kaputten Gussformen und Fehlgüssen zum Vorschein. Der Produktionszeitraum lag in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.

Wie bei den Resten der Würfelmanufaktur bleibt auch hier die Frage unbeantwortet, wo sich die zugehörige Werkstatt ehemals befand und ob sie in irgendeinem Bezug zum jüdischen Leben in Frankfurt stand.

WIE WURDE HERGESTELLT?

Hier erklärt am Beispiel einer „Victoria auf Weltkugel“: Die Gussformen waren stets mehrteilig. Die Passgenauigkeit gewährleisteten Noppen und ihre jeweiligen Gegenstücke. Je nach Größe und Komplexität der gewünschten Figur wurden einzelne Segmente getrennt gegossen und diese später zusammengefügt. Bei Bedarf wurden – wie hier – in die Gussform Eisenstäbe eingearbeitet, um deren Festigkeit zu gewährleisten.

WAS WURDE HERGESTELLT?

Wie man an den hier ausgestellten Objekten sehen kann, liegen diese im vorliegenden Fundmaterial in einem mehr oder weniger fragmentierten Zustand vor. Daher ist meist nicht mehr zu ermitteln, was als Endprodukt angestrebt war: Sollte es z.B. bei dem Kopf/Köpfchen bleiben, war eine Büste angedacht oder gar eine komplette Personendarstellung?

Als Motive beliebt waren Nachbildungen berühmter antiker Götterstatuen und bekannte Personen des öffentlichen Lebens. Aber auch einfache, profane Motive kamen vor, die ebenso ihre Käufer gefunden haben werden.

(14) Foto: Stefanie Kösling

Impressum

Archäologisches Museum Frankfurt

Kurator: Dr. Thorsten Sonnemann

Ausstellungsdesign und -grafik: Meitar Tewel

Ausstellungsdesign Assistenz: Marijke Wehrmann

Ausstellungskoordination: Dr. Liane Giemsch

Restauratorische Betreuung: Thomas Flügen